Du erntest, was Du säst. Aber was säst Du denn? Und was erntest Du eigentlich? Und wenn Du es nicht tust, wer tut es dann für Dich? Und wieviel Platz braucht er/sie eigentlich dafür? Und wenn alle säen und ernten würden, kämen wir dann noch klar? Darauf gibt das Projekt "Weltacker" eine klare Antwort: 2.000m² haben wir, wenn man die Ackerfläche der Erde durch die Zahl ihrer Bewohner*innen teilt. Und was machen wir draus?
Weltacker 2.000m²
Am vergangenen Dienstag - im monatlichen offenen Abend des Ess Kultur Pur Abendkurses - haben wir darauf kompetente Antwort bekommen. Benedikt Haerlin, der Leiter des Berliner Büros der Zukunftsstiftung Landwirtschaft, hat uns - online - in Pankow buchstäblich mit auf den Acker genommen. Und er hat uns Idee und Prinzip und alles, was man daraus lernen kann, erklärt.
Aus dem Nähkästchen geplaudert: am nächsten Morgen bekam ich von unserer Zuhörerin Anna, per Mail das Feedback: "Der Vortrag war sowas von cool und der Mann auch, ganz ganz toller Input!" Deshalb habe ich mir gedacht, ich erzähle Euch im Blog ein bisschen von dem, was wir an diesem Abend gesehen und gelernt haben.
Wann alles begann
Seit 2013 gibt es in Berlin den "Weltacker". Im Botanischen Volkspark Blankenfelde-Pankow werden auf den zweitausend Quadratmetern alle Ackerkulturen im gleichen Verhältnis angebaut, wie es aktuell global auf den Ackerflächen der Welt der Fall ist.
Die 2.000 m² sind dabei nicht nur Sinnbild für das Verhältnis der Anbaupflanzen im weltweiten Vergleich, sie sind gleichzeitig auch die Menge, die jedem einzelnen von uns rechnerisch an fruchtbarem Boden für unsere persönliche Versorgung zusteht, wenn alle Menschen auf der Erde satt werden wollen.
Mehr als diese zweitausend Quadratmeter haben wir also nicht. Und da macht es ja Sinn, mal zu gucken, was wir damit machen. Denn dort wachsen nicht nur Weizen, Getreide, Kartoffeln, Soja und ein bisschen Gemüse und Obst. Da wachsen vor allem auch die Nutzpflanzen für Biosprit, für das Tierfutter, der Kautschuk für unsere Autoreifen und die Baumwolle für unsere Kleidung. Um nur einiges zu nennen. Und was dann für's Essen an Ackerfläche übrig bleibt, ist plötzlich gar nicht mehr so viel.
Details zum Weltacker schaut man sich am besten auf der zugehörigen Internetseite an. HIER will ich vor allem zusammen fassen, was für uns als Zuhörer an diesem Abend besonders interessant war. Das mal der Reihe nach:
1. Botschaft:
Es ist genug für alle da
- so viel, wie aktuell (auch nach Abzug aller Neben-Nutzungspflanzen) weltweit an Essen wächst, könnten wir global gar nicht aufessen
- aktuell produzieren wir soviel Lebensmittel weltweit, dass es für 12 Milliarden Menschen reichen würde - statt für die 7 1/2, die wir grade sind
- wir haben also zu viel - warum gibt es dann Hunger in der Welt ...
2. Botschaft:
Lange nicht alle Nahrung, die wir produzieren, kommt bei uns an.
- 1/3 (!) aller Ackererzeugnisse weltweit werden weggeworfen:
a - verfault Vieles schon auf dem Acker
b - gibt es einen Verlust an Mäuse, Insekten und Schimmel
c - wird es als ungenormtes Gemüse aussortiert (zu klein, zu groß, zu krumm)
d - wird es weggeworfen in den Läden
e - wird es weggeworfen in unseren Küchen - das Meiste von diesem Abfall könnten wir vermeiden
3. Botschaft:
Nicht alles, was wir erzeugen, essen wir Menschen selbst.
- zum Beispiel nur 43 % des produzierten Getreides essen wir selbst
- 36 % des produzierten Getreides verfüttern wir an Tiere
- sogar 80% des weltweiten Sojaanbaus verfüttern wir an Tiere
4. Botschaft:
Warum Biosprit-Pflanzen nicht des Rätsels Lösung sind.
Aktuell werden 20% der Ackerfläche in Deutschland nicht für Nahrungsanbau verwendet, sondern für Nutzpflanzen, aus denen Biosprit und Biogas hergestellt wird. Am Beispiel Raps kann man sich gut ein Bild davon machen, wie sinnvoll das wirklich ist.
Würden wir z.B. unsere gesamten 2.000 m² ausschließlich mit Raps bepflanzen, kämen wir mit der jährlichen Produktionsmenge an Biosprit aus diesem Raps mit unserem Auto etwa 3.900 km weit. Wir würden dann unseren Acker also "verfahren", z.B. mit 5 x München-Hamburg. ABER: dann hätten wir den Rest des Jahres nichts mehr zu essen!
Es ist also zwar möglich, Biosprit-Pflanzen anzubauen, aber es ist möglicherweise nicht das Wichtigste, wofür wir unseren Acker brauchen!
Und überraschend war in diesem Kontext auch die Zahl: würde JEDES Auto in Deutschland nur EINEN Liter weniger Sprit auf 100 km verbrauchen als bisher, hätte man soviel gemeinsame Sprit-Ersparnis, dass man auf die gesamten, aktuellen 20 % Ackerfläche für Biosprit-Pflanzen und für Biogas-Pflanzen verzichten könnte!
Fazit: sparsamere (oder weniger) Autos = mehr zu essen.
5. Botschaft:
Wir in Deutschland "kaufen gegenwärtig Acker zu".
Aktuell brauchen wir in Deutschland pro Person mehr als "unsere" 2.000 m², die wir pro Person eigentlich hätten. Genau genommen 2.700 m2 pro Person und Jahr. Heißt also, 700 m2 Nutzfläche importieren wir von irgendwo auf der Welt - dort haben die Menschen dann logischerweise zu wenig Acker für sich selber übrig.
6. Frage:
Warum brauchen wir so viel?
Tatsächlich ist der Unterschied zwischen zu viel oder zu wenig vom Weltacker verbrauchen gar nicht so sehr geprägt vom reichen Norden und armen Süden, oder von Klima, Sozialsystem oder Infrastruktur.
Sondern die rote Linie zwischen den Viel-Verbrauchern und den Wenig-Verbrauchern verläuft - so im Originalton Benedikt Haerlin "zwischen Kampfgrillern und Vegetariern/Veganern". Dazu ein Beispiel.
7. Botschaft:
Warum Tiere lieber auf den Weiden bleiben sollten.
Tiere gehören eigentlich auf Weideland. Sprich auf für Ackerbau unerschlossene oder auch unerschließbare Flächen unserer Erde. Sobald wir anfangen, von unserer Ackerfläche etwas für ihr Futter abzuknapsen, beginnen die Probleme.
Um im Weltacker-Beispiel zu bleiben: von unseren gesamten 2.000 m² können wir mit dem Ertrag eines Jahres grade mal zwei Schweine mästen! Von zwei Schweinen können wir aber nicht ein ganzes Jahr leben. Wenn wir auf derselben Fläche Getreide, Hülsenfrüchte, Gemüse, Obst, etc. anbauen, kann ein halbes Dorf davon satt werden.
Aktuell werden deshalb 700 m² "Acker" von uns aus dem Rest der Welt importiert. Das Meiste davon ist Tierfutter, genauer gesagt Soja. Nach dem Ort des Wachstums ihrer Nahrung bewertet, sind die Schweine in vielen deutschen Ställen also genau genommen "brasilianische Schweine".
8. Botschaft:
Die Gretchenfrage nach dem Fleisch
Auch aus Weltacker Sicht spricht nichts gegen den gelegentlichen Fleischverzehr. Es spricht auch nichts dagegen, dass man (BH): "das eine oder andere Korn vom Acker für die Hühner abzweigt". Es macht aber total Sinn, dass wir - wenn wir mal wieder Fleisch essen wollen - vorher genau gucken, wo es herkommt. Erstrebenswert wären dabei bäuerliche Betriebe mit Kreislaufwirtschaft, die z.B. ihr Tierfutter noch weitgehend auf eigenen Weiden anbauen oder die Tiere - wo immer möglich - auch draußen leben lassen.
Dann hätten wir mindestens ein "deutsches Schwein" auf dem Teller und eine Menge CO² und Transportkosten für unser Schwein gespart. Die Menschen in Brasilien hätten mehr zu Essen für sich selber. Und auch auf unserem Weltacker wäre für unser eigenes Essen wieder ein bisschen mehr Platz.
9. Frage:
Muss man so viel Fleisch essen, wie man sich leisten kann?
Dass mehr Reichtum und Entwicklung nicht notwendigerweise mehr Fleischverzehr bedeuten müssen, zeigen die Beispiele von China und Indien. Vor 30 Jahren haben die Inder und die Chinesen im Jahr durchschnittlich 4 kg Fleisch pro Person verzehrt. Heute verzehren die Inder - mit ihrer starken, vegetarischen Kultur - grosso modo noch genau so viel. Die Chinesen hingegen haben sich zu 60 kg pro Jahr und Person "hoch entwickelt".
Und das, obwohl China, auf sein eigenes Land bezogen, schon aktuell nur noch 1.000 m² Acker pro Person zur Verfügung hat. Zum Glück wird dies alles auch dort langsam bewusst - und man ändert wieder die Richtung. Ein "Weltacker-Projekt" in Peking ist übrigens in Aufbau!
10. Botschaft:
Was das alles mit Klimaschutz zu tun hat.
Und natürlich ist alles, was man rund um den Weltacker lernen kann, auch sehr nah mit Klimaschutz verwandt. Denn unnötige Transporte vermeiden unnötige CO² Emissionen. Biologische Bewirtschaftung unseres Ackers erhöht das Bodenleben und damit die Humusbildung im Acker - und Humus kann eben CO² binden und damit unsere gesunde Erdatmosphäre bewahren helfen.
Fazit:
Meine Teilnehmer und ich fanden Vieles an diesem Vortrag ermutigend. Denn was sich hieraus ergibt, das können wir doch alles - sowohl kollektiv, als auch individuell sind das Fähigkeiten "in Reichweite"
- weniger Lebensmittel auf dem Acker verkommen lassen
- weniger Lebensmittel wegen Form und Größe aussortieren
- weniger Lebensmittel wegwerfen
- weniger Fleisch essen
- immer auf die Herkunft achten
("Jeder Bissen hat einen Ort, an dem er gewachsen ist." B.Haerlin) - Sprit-sparende Autos fahren - oder auch erstmal nur das eigene Auto Sprit-sparender fahren
- Regionales bevorzugen
- die bäuerliche Wirtschaftsweise durch Einkauf unterstützen
- und dann auch die eigenen Möglichkeiten zum Anbau noch mit ausnutzen, denn Essen muss ja gar nicht immer von Acker kommen, sondern zum Beispiel vielleicht auch aus dem Hausgarten, vom Balkon oder aus dem Kräutertopf auf der Fensterbank
"Boden ist ein geduldiges Medium." So Benedikt Haerlin. Wir können und haben schon viele Jahre Vieles falsch gemacht. Aber soweit entfernt ist es gar nicht, es zukünftig besser zu machen.
Das Weltacker Projekt gibt es zum Glück nicht nur in Pankow, sondern in Überlingen, in Vorpommern, in Basel, zweimal in Liechtenstein, achtmal in Kenia (wo die Jugendlichen VIEL mehr über Ackerbau wissen und sich VIEL mehr dafür interessieren, als hier bei uns!). Und Aufbauprojekte für Weltäcker sind grade aktiv in China und in Indien.
Wer will, kann sich über die Website mit dem Projekt verbinden und mitmachen! Mindestens aber den Newsletter abonnieren, damit man weiß, was grade so los ist.
Soviel für heute. Ich wünsche Dir einen wunderschönen Sonntag und eine gute neue Woche!
Herzlichst, Deine
Anne
P.S.: Immer gerne weiterleiten. Danke. Wenn's Dich bewegt, bewegt es sicher auch andere!
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