"Mein Kind mag das nicht." oder noch schlimmer: "Mein Kind mag fast nichts, jedenfalls nichts Gesundes." - das ist die Alltagserfahrung, mit der sich Eltern und besonders Mütter oft jahrelang täglich herumschlagen müssen. Im dritten Teil der Ess Kultur Pur Serie zur Kinderernährung lernst Du - statt Dein Kind zum Essen nötigen zu müssen - wie Du es für Essen begeistern kannst!
Falle Nummer sieben
"nur einkaufen - statt anbauen"
Wo kommt das Essen eigentlich her? Als meine Tochter klein, hatten wir eine Gemüsekiste im Abo, die wöchentlich einmal von einem Boten vor unsere Haustür gestellt wurde. Just zu der Zeit, ergab sich am Familientisch folgende Szene.
Unsere Tochter mäkelte herum, den Teller leer zu essen. Als Eltern bemüht man dann ja so das eine oder andere Argument. In dem Moment hab ich das - zugegebenermaßen abgegriffene - Argument aus der Tasche gezogen:
"Auf der Welt gibt es total viele Kinder, die froh wären, wenn sie noch soviel zu Essen hätten, wie Du jetzt auf dem Keller hast. Die hungern und haben gar nichts zu essen." Woraufhin meine Tochter den Gedankengang fröhlich fortsetzte und sagte: "Und dann kommt aber der Postbote und bringt ihnen was Neues!"
So süß das war, hat es mir doch die Augen geöffnet, wie in einem kindlichen Kosmos das Thema Ernährung kodiert ist. Das Kind vernetzt seine Beobachtung, wo das Essen sichtlich her kommt, damit wie es vermutlich entstanden ist. Und heraus kommt, dass Kinder meinen, Kühe wären lila, Essen käme aus dem Supermarkt oder das Gemüse käme vom Postboten.
Essen fällt also für das Kind sozusagen vom Himmel und seine einzige Aufgabe ist, lauter fremdes Zeug, das von irgendwo auf der Welt zu ihm gelangt, aufzuessen. Kann man doch verstehen, dass das nicht in allen Fällen Begeisterung auslöst.
Der Unterschied könnte größer nicht sein, wenn ein Kind vom Saatgut an sein Essen hat wachsen sehen. Schon ab dem 2. oder 3. Lebensjahr kann ein Kind einen Kresse-Igel auf der Fensterbank, einen eigenen Balkonkasten, einen Platz auf dem Hochbeet oder ein kleines Beet im Garten haben.
Die staunende Freude, wenn die selbst ausgesäten Samen keimen bis zum unbändigen Stolz, wenn das selbst Geerntete auf dem Mittagstisch zum Verzehr für alle steht, ist durch nichts zu ersetzen.
So entsteht Beziehung zu dem, was auf dem Teller ist. Und Wissen, wie Gemüse aussieht, auch wenn es noch im Wachstum ist. Wissen auch, wie man sich ernährt und die Sicherheit, dass man es im Notfall tatsächlich selber könnte. Und auch Bewusstsein, z.B. für die Kostbarkeit des Erdbodens, aus dem ursprünglich tatsächlich alles hervorgegangen ist, was wir jemals als Nahrung verwenden können.
Und Du musst übrigens gar nicht alles selber machen - und auch nicht alles in einem Jahr! Viele Bio-Bauernhöfe bieten Garten- oder Ackerkurse für Kinder an. Schulen und Kitas können Gemüse- oder Kräuterprojekte in den Plan aufnehmen. Oder Ihr nehmt Euch zuhause jedes Jahr nur zwei bis drei Gemüsesorten neu vor, die Ihr noch nie selbst angebaut habt. Es genügt, wenn Dein Kind das Prinzip erlebt!
Kinder mit Anbauerfahrung mögen vielleicht auch das eine oder andere Gemüse haben, die sie trotz Selbstanbau nicht mögen - aber nicht zwanzig oder dreißig! Führ' Dein Kind also von Anfang an heran an das Wunder des Wachstums. Mit begeistertem Appetit am Küchentisch wird es sich bei Dir dafür bedanken.
Falle Nummer 8
"nur vorkochen, statt selber kochen"
Und damit wären wir schon beim nächsten Punkt. So wie die Zutaten für das Essen des Kindes nicht vom Himmel fallen sollten, so sollten es auch die Mahlzeiten nicht. Ich bin noch groß geworden mit einer Vollzeit-Mama, deren Selbstverständnis es war, die Versorgungsaufgaben für die Kinder selbst zu übernehmen. Die gelebte Haltung war: Kinder sollen lernen (für die Schule, Musik und dergleichen mehr) und spielen. Kochen macht Mama.
Mit einer soliden Gemüseküche aus dem eigenen Garten habe ich trotzdem eine gute physische Grundlage und einen ausdifferenzierten Geschmackssinn mit in mein Leben genommen - Mama sei Dank. Denn sie kann sehr gut kochen.
Aber ich konnte es nicht. Die ersten Monate nach meinem Auszug habe ich gefühlt hauptsächlich von den damals grade reifen Nektarinen gelebt. Und dann einen VHS Kurs gemacht, weil ich gemerkt habe: mit dem bisschen, was ich mir abgeguckt habe, komme ich am eigenen Herd nicht weit.
Wie anders meine Freundin aus Afghanistan, die schon ab dem fünften Lebensjahr täglich für die Familie die Brote mit gebacken hat. Von Anfang an war sie liebevoll in der Mitverantwortung, zusammen mit Mama die Familie zu versorgen - und hat sich dabei stolz gefühlt und unendlich viel gelernt.
Die Geschicklichkeit, Geschwindigkeit und Perfektion, mit der sie bis heute kocht und ihre Küche führt, werde ich in meinem Leben nicht mehr erreichen. Denn bekanntlich: früh übt sich, wer ein Meister werden will.
Beides mag extrem sein. Wir können heute einen Mittelweg wählen. Das Wichtige ist: "Lass Dein Kind ran." Nicht nur zum Gucken oder Nachmachen, sondern lass' es seinen Beitrag leisten. Erst spielerisch und dann lässt Du immer mehr los - und lässt Dein Kind machen.
Vielleicht musst Du mal was Versalzenes essen, vielleicht brennt mal was an oder Du musst danach die Küche aufräumen - was soll's! Jede Erfahrung wird Euch weiter tragen. Und ich garantiere Dir: bei dem, was Dein Kind selber auf den Mittagstisch bringt, wirst Du nicht verhandeln müssen, ob es aufisst!
Falle Nummer 9
"alles durcheinander, statt ordnen"
"Die Wurst gehört auf's Brot." Gehört sie wirklich auf's Brot? Warum möchten dann fast alle Kinder dieser Welt lieber die Wurst oder das Brot essen? Oder wenigstens erst die Wurst und dann das Brot? Trau' Deinem Kind zu, dass es weiß, was es tut.
Das obige Beispiel illustriert gut das Phänomen, dass wir alle solange umerzogen werden, bis unsere natürlichen Instinkte komplett zugeteert sind - und wir nicht mehr wissen, was gut für uns ist.
Im Essen gibt es eine natürliche Ordnung. Und seit der Steinzeit und quer durch unsere ganze Evolution bis hin zu den Neandertalern sind wir dieser natürlichen Ordnung quasi wie von selbst gefolgt. Die Lebensbedingungen hätten gar nichts anderes hergegeben.
Es gab keine Kühlschränke, keine internationalen Lieferketten für Lebensmittel von überall her. Es gab keine Supermärkte und nicht den Luxus, sich jederzeit "alles" gleichzeitig kaufen und auf den Teller legen zu können. Es gab vermutlich die meiste Zeit nichtmal Brot - und auf jeden Fall auch keine Wurst für oben drauf.
Wenn es auch an dieser Stelle zu weit führt, das Grundprinzip der Lebensmittelharmonie zu erläutern - soviel sei gesagt: schlichte Kombinationen von Zutaten, die evolutionär und biologisch zusammen passen, mögen Kinder intuitiv. Vieles, was dem nicht entspricht, lehnen sie intuitiv ab - und das mit Recht.
Wenn sie also Wurst pur essen wollen - gibt ihnen Knabbergemüse dazu und lass' sie! Wenn sie Brot pur essen wollen - gibt ihnen noch Knabbergemüse dazu und lass' sie! Mach' öfter mal ein Hauptgericht, das (fast) nur aus einer Sorte Gemüse besteht, vielleicht mit gerösteten Sonnenblumenkernen oben drüber, einer leckeren Soße oder mit einer Käsekruste oben drauf.
Wenn sie Nudeln essen wollen, spar' Dir die Tomatensoße und gib' ein wenig Olivenöl, viel frische Kräuter oder Knoblauch und vielleicht Parmesan oben drüber. Biete ihnen Obst an ohne Müsli. Oder Müsli ohne Obst! Zum Beispiel Haferflocken mit Mandel-Dattel-Milch und ein wenig Honig.
Lass' sie die Erfahrung machen, die ursprüngliche Basiszutat schmecken zu können - und dazu Beziehung aufzunehmen. Und dann denken: immer 10 x kleine Mengen liebevoll und selbstverständlich, (spätestens) ab dem 11. Mal hat unser Geschmackssinn das Neue als erwünscht kodiert. Je früher Du damit anfängst, desto mehr Grundzutaten können sie lieben und schätzen lernen - und später könnt Ihr dann auch immer mehr behutsam im Sinne der Lebensmittelharmonie kombinieren.
Soviel für heute. Die letzten drei der zwölf beliebten Ernährungsfallen, die Du leicht vermeiden kannst, wirst du im nächsten Blogbeitrag kennenlernen. Schau' auch hier in Teil eins und Teil zwei der Serie rein. Bei Fragen oder Anmerkungen darfst Du Dich gerne an mich wenden.
Herzlichst, Deine
Anne
P.S.: Weiterleiten nicht vergessen, z.B. an die Eltern Eurer Schule oder Eurer Kita oder an ihre Lehrer! Auch Schulen können konzeptionell Kinder zu Anbau und Zubereitung hinführen. Je mehr mitmachen, desto besser!
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