Alles, was es wert ist getan zu werden, ist es bekanntlich wert, langsam getan zu werden. Das gilt auch - und wie ich finde - ganz besonders, für's Essen. Im Gegenpol zur schnell-lebigen Zeit haben ein paar große Geister und viele kluge Menschen Strukturen auf die Beine gestellt, die sich dem Trend nach immer simpler und immer schneller wohltuend entgegen stellen. Zwei davon möchte ich heute vorstellen.
Beginnen wir vor der Haustür:
Am Dienstag, dem 5. Mai hatten wir Clara Dorn vom Ernährungsrat Köln zu Gast als Referentin in der (corona)-online-Version des laufenden Ess Kultur Pur Abendkurses. Bei dem absolut mitreißenden Vortrag haben wir ganz viel dazu gelernt. Vor allem habe ich noch mehr begriffen, was für zukunftsweisende Kräfte sich direkt vor unserer Haustür formieren.
Ruferin in der Wüste
Ich muss gestehen, dass ich mich mit der Lebensmittelharmonie viele Jahre als Ruferin in der Wüste empfunden habe. Vor 20 Jahren, vor social media, vor der großen vegan-Welle und bevor neuerdings sogar die Bundesregierung und die EU laut über Biolandbau und Artenschutz nachdenken, stand ich mit meinen Ideen oft ganz schön allein da.Die Lebensmittelharmonie ist ganz aus der Erfahrung geboren. Aus dem Ringen um Gesundheit. Um die meine Patienten und manchmal auch um meine. Da war keine Institution, der mir einen Stempel drauf gesetzt hätte. Im Gegenteil, wer vor 20 Jahren von Bio sprach, bekam damals noch viel mehr Fragezeigen oder auch Gegenwind, als heute.
nicht mehr allein
Jetzt, wo durch social media und digitale Kommunikation die Welt so viel transparenter geworden ist (was Vor- und Nachteile hat), begegne ich manchmal Menschen oder auch Institutionen, die - ohne voneinander zu wissen - genau zu denselben Schlussfolgerungen gekommen sind, wie ich. Das ist wie Aufwachen und merken: huch, ich bin ja gar nicht allein. Wie cool! Ein solcher Glücksmoment war meine Entdeckung des Ernährungsrates Köln.Was also ist der Ernährungsrat?
Der Ernährungsrat Köln ist ein Projekt des gemeinnützigen Vereins Taste of Heimat e.V.. Die Idee stammt aus Nordamerika, nennt sich dort "food policy council" und existiert auf breiter Ebene seit rund 15 Jahren in nahezu jedem Ballungsraum. Das Konzept wurde in den letzten Jahren auch in Großbritannien, Frankreich und den Niederlanden übernommen.
Der Kölner Ernährungsrat ist vier Jahre alt und damit der älteste in Deutschland. 20 weitere in anderen Städten sind schon gegründet. 20 weitere sind in Gründung.
Wozu braucht eine Region einen Ernährungsrat?
Wir Endverbraucher denken oft nur über unseren eigenen Einkauf nach - wo wir also was her bekommen. Aber tatsächlich, so Clara Dorn: "Essen ist nicht parteiisch, aber extrem politisch". Es braucht regionales, politisches Handeln, damit Schulen, Kitas, Altenheime, Krankenhäuser und jeder einzelne Bürger bezahlbar und nah an biologisches Essen kommen kann.
Es braucht tatsächlich erstmal politisches Handeln, damit wir als Gesellschaft weniger abhängig werden von instabilen, komplexen Lieferketten von Nahrung aus aller Welt. Und es braucht politisches Handeln, damit Regionen wieder in die Lage versetzt werden, sich selbst zu ernähren.
Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile
Der Einzelne kann da wenig mehr machen, als Meinungen äußern. Aber ein Verbund von Menschen mit gleicher Ausrichtung und hoher Fachkompetenz kann plötzlich kompetenter Ansprechpartner werden für Lokalpolitiker, Landwirte und auch für Verbraucher. Das Ziel dabei ist: Essen muss wieder nachhaltig und fair werden - und faires Essen muss einkommensunabhängig verfügbar sein für jeden Menschen in der Region.
Vier Sparten
Der Ernährungsrat arbeitet aus vier Richtungen hin auf dieses Ziel. Alle Projekte sind dabei von Ehrenamtlern getragen.
- die essbare Stadt
(Lebensmittel in der Stadt produzieren, urban gardening, Gemeinschaftsgärten, etc.) - nachhaltige Gastronomie
und traditionelles Lebensmittelhandwerk
(beides noch seltene bzw. teils aussterbende Gattungen) - regionale Vermarktung
(z.B. Marktzugänge schaffen auch für kleine und mittlere Betriebe) - Ernährungsbildung und Gemeinschaftsverpflegung
(Bio-Essen organisieren für Kitas, Schulen, Krankenhäuser, etc.)
Köln als Bio-Stadt, das wär' doch was
Clara Dorn hat eine ganze Reihe interessanter Projekte aus diesen vier Sparten vorgestellt. Sie aufzuzählen, würde jetzt hier den Rahmen sprengen. Doch nicht zuletzt durch die Initiative des Ernährungsrates überlegt sich die Stadt Köln jetzt auch, dem Bio-Städte Netzwerk beizutreten (Bonn ist schon dabei). Und eine wichtige Beraterarbeit leistet der Verein auch, wenn es darum geht, wie der Kohleausstieg im Rheinischen Revier für die (nachhaltige) Landwirtschaft umgesetzt wird.
Ruhiger schlafen - oder auch mitmachen
Mehr ins Detail können wir in diesem Rahmen hier nicht gehen. Aber jeder kann über die Website Kontakt aufnehmen - oder auch mitmachen, wenn Interesse und Ressourcen dafür da sind. Mich persönlich jedenfalls lässt es eine Ecke ruhiger schlafen, zu wissen, dass so viele Menschen mit großer Sachkenntnis und Initiativkraft daran arbeiten, dass Essen wieder ehrlicher wird. Dass gute Versorgung wieder näher rückt. Dass Böden und Landschaft geschützt werden und dass das Prinzip der Fairness bei unser Nahrungsmittel-Produktion über das Prinzip der Gewinnmaximierung gestellt wird.
Slow Food
Einen zweiten, überaus persönlichen Einblick konnten wir mit Clara Dorn überdies nehmen in die Slow Food Organisation. Die 1986 von Carlo Petrini in Rom gegründete Bewegung hat sich beim Essen den Werten "gut, sauber, fair" verschrieben. Am Anfang war sie ein Gegenpool zur fast food Welle, entbrannt als Protest gegen die erste Mc-Donald's Filiale in Rom. Inzwischen ist slow food weltweit zu einem imposanten, ebenfalls ehrenamtlichen getragenen, Netzwerk herangewachsen. Clara Dorns' Einblick darein war insbesondere deshalb besonders interessant, weil sie an der internationalen slow food Universität in Pollenzo, Piemont, studiert hat. Von dort hat sie neben viel Fachkenntnis und internationaler Vernetzung vor allem eins mitgebracht:
Die Zuversicht: "Wir werden das schon hinkriegen mit dem Retten der Welt über das Essen." Und wer ihr an diesem Abend zugehört hat, der glaubt es ihr auf's Wort.
Danke nochmal an Dich, Clara! Dieser funkensprühende Abend war ein Öffnen der großen Schatzkiste über alles, was es - global und regional - schon Gutes gibt. Übrig bleibt die Gewissheit und das Vertrauen, dass wir über "voting with our forks", über das Wählen mit der Gabel, die Welt nicht nur verändern können, sondern werden!
° ° °
And here we go: nächsten Dienstag, am 09.06., werden wir wieder sehr regional, denn da geht es um unseren Balkon, unser Hochbeet oder unseren Garten.
Wie schon im letzten Newsletter angekündigt, haben wir einen Gastreferenten. Joachim Böttcher vom Hengstbacherhof beschreibt, was es mit Terra Preta (Amazonas Schwarzerde) auf sich hat. Und wie wir damit unsere kleinen oder großen Anbauflächen über die Maßen fruchtbar machen können.
Und warum das was mit Klimapolitik zu tun hat. Wenn Du noch nicht angemeldet bist:
Hier kannst Du Dich für die – kostenlose – online Teilnahme anmelden.
Wie gesagt, der Vortrag findet online statt und ist kostenfrei. Ca. 1-2 Stunden vor Beginn erhältst Du von mir - Anmeldung vorausgesetzt - den Zugangslink zum Meetingraum für das Video-Treffen via zoom.
Die erste Anmeldungswelle war schon überwältigend - aber zum Glück sind wir online und es gibt noch mehr Plätze :-)))
Dir eine gute Woche und vielleicht bis Dienstag, liebe Grüße,
Anne
P.S.: Nicht vergessen, Freunde "mitzubringen"!