„Mama, das ist komisch: wenn ich gesunde Sachen esse, bin ich immer so satt.“ sagte die 11-jährige Miley zu ihrer Mama, nachdem sie die ersten drei Wochen Umstellung auf die Lebensmittelharmonie mit Bravour bewältigt hat! Womit das Vorurteil aus der Welt wäre, dass man Kinder - nach Abschluss des Babyalters - in Sachen ungesunder Ernährung sowieso nicht mehr einfangen kann. In jedem Alter haben grade Kinder ein intuitives Gespür dafür, was ihnen gut tut und was nicht.
Ob sie dieser Intuition folgen, liegt weniger an ihnen selbst, als an dem Umfeld, in dem sie groß werden. Lies deshalb in dem letzten Teil der vierteiligen Ess Kultur Pur Reihe zur Kinderernährung, was Du selber tun kannst, damit Dein Kind in Sachen Essen das richtige Gleis erwischt.
Falle Nummer 10
"vom Kind verlangen, was man selbst nicht lebt"
Und schon sind wir mitten in den vielleicht zentralsten Punkt zur Kinderernährung: Wie ist es um Dein eigenes Essen bestellt? Und um das Deiner Community? Wie sind die Gewohnheiten von Mama, Papa, Oma, Opa und besten Freunden? Wieviel Achtsamkeit, Zeit, Qualität wird da in die Mahlzeiten investiert? Und welche Strategien gibt es, um die allfälligen Versuchungen - im Übermaß - zu umrunden?
Um es kurz zu machen, unser Kind wird - insbesondere wenn es um zu viel Brot, zu viel Nudeln, zu wenig Gemüse und zu viel Süßkram geht - weitgehend das tun, was sein ganzes Familiensystem und sein soziales Ökosystem tut. Wie könnte es auch anders. Es ist ja zutiefst Teil davon und gänzlich un-selbständig, um ggf. am System vorbei einen anderen Kurs zu fahren, als der Rest seiner Welt. Es ist "mitgefangen, mitgehangen".
Wie wir groß geworden sind
Die Erwachsenen - sprich Großeltern und Eltern der Gegenwart, also wir - kommen aus dem Ernährungskosmos der 80-90-oder 00-er Jahre. Da sind typische Prägungen entstanden: Einkauf im Discounter, billig und viel, ganz normal. Verpacktes, ganz normal. Süßigkeiten zur Belohnung, ganz normal. Eine Süßigkeitenschublade zuhause, ganz normal. Regelmäßig Fleisch, fast nur gekochtes oder gebackenes Essen, zu viel tierisches Fett, klassische dreiteilige Mahlzeiten, mehrmals täglich Brot, alles ganz normal.
In jüngerer Zeit brechen diese Strukturen auf und ein immer ernster zu nehmender Anteil der Bevölkerung kauft biologisch, regional, frisch, vegan oder zuckerfrei ein. Aber das sind immer noch unter 10 %! Und selbst wenn Du zuhause alles richtig machst, isst Dein Kind ja auch bei Oma und Opa, in der Kita, in der Schulpause, in der Schulkantine.
Überall die gleichen Fehler
Und fast überall "da draußen" herrschen die alten Gesetze: zu viel Kohlenhydrate, zu viel süß, zu wenig frisch. Es braucht nur eine kurze Zeit, bis das Geschmackssystem der Kinder darauf konditioniert ist. Und dann hast Du zuhause die Arbeit damit, es anders zu machen.
Die Lösung: fang' konsequent nicht beim Kind an, sondern erstmal bei Dir/bei Euch. Ja, lass’ erstmal Dein Kind ganz aus dem Spiel und stell’ Dein/Euer eigenes Essen auf den Prüfstand. Die Lebensmittelharmonie kann Dir dafür Maßstäbe an die Hand geben. Schau also, womit Du zufrieden sein kannst. Und überlege Dir Strategien, wie Du mit dem anderen einen besseren Umgang findest.
Und sprich' mit den Menschen, die mit Dir zusammen Dein Kind erziehen. Vielleicht wirst Du auf offenere Ohren treffen, als Du erwartet hast. Und wenn nicht, fokussiere Dich einfach auf zuhause. Das ist der Ort, wo die Vorbildfunktion am intensivsten wirkt. Wenn es da stimmt, ist alles gut. Alles andere kann Dein Kind verkraften.
Stressfrei umstellen
Und wenn Du für Dich neue Standards definiert hast, dann lebst Du das erstmal ein paar Monate. Kommentarlos. Ohne Dein Kind mit Deinen neuen Überlegungen zu behelligen. Und lässt Dein Kind einfach mitessen und - bei Lust - mitmachen. Und ehe Ihr Euch verseht, hat was Neues begonnen - allen geht es besser und Du musstest es gar nicht erklären!
Falle Nummer elf
"wirklich das einzige no-go: Aromastoffe"
Die Lebensmittelharmonie ist ja dafür geschätzt und bekannt, dass sie - von den natürlichen Lebensmitteln - nichts ausschließt. Man darf Eier und Milch essen, Fleisch und Hülsenfrüchte, man darf kochen oder roh essen, herzhaft oder auch süß.
Unser einziges Kriterium ist das Ordnen der Nahrung nach Sinn und Wirkung. Wenn man dabei ganz ernst nimmt, nur „echte“ Lebensmittel zu verwenden, dann ist Falle Nummer 11 kein Thema, erledigt sich von selbst.
Aber solange man auch noch nur ein einziges Fertigprodukt aus dem Regal nimmt, erst recht aus konventionellen (nicht biologischen) Einkaufsquellen, muss eins ganz klar sein:
Finger weg von allem, was aromatisiert ist. Das fängt beim "Früchtetee" an und hört beim Kaugummi oder Bonbon auf. Auch in Marmelade, Vanille-Eis, fertigen Yoghurts, Schokopuddings oder selbst in der Zahnpasta finden sich die synthetischen "Geschmacks-Eindrucks-Erzeuger".
Wo ist das Problem?
Nun, wer zulässt, dass sein Kind Aromatisiertes isst, erkennt ihm das Recht auf eine eigene „Geschmacks-Bildung“ ab. Das lateinische Wort „sapere“ bedeutet: schmecken, verstehen, verständig sein. Der Zusammenhang von „schmecken“ und „verstehen“ sagt eigentlich alles. Mit dem Schmecken erobern wir uns die Welt. Nicht zuletzt deshalb nehmen Kinder lange erstmal alles in den Mund!
Wenn sie bei ihren Erkundungen - auch im späteren Alter - nicht mehr den Geschmack der Dinge an sich vorfinden, sondern eine (nach ausgeklügelten Industrie-Strategien) perfekt aroma-intensivierte Version, ist die gewollte Manipulation schon so gut wie gelungen. Warum?
Nun - erstens essen die Kinder das aromatisierte Produkt häufiger und in größeren Mengen, als sie es bräuchten. Einer der Pfade zum kindlichen Übergewicht ist damit gebahnt. Zweitens verwechseln sie geschmacklich danach Original und Imitat. Eine echte Erdbeere kommt im Vergleich zum Erdbeeraroma dann als "fad" rüber. Damit geht die Option verloren, sich mit ihrem Geschmackssinn in der Welt der Lebensmittel sicher zu orientieren.
Denn wofür haben wir denn den Geschmacks-Sinn?
Um z.B. Reifes und Unreifes, Gespritztes und Ungespritztes, Giftiges und Ungiftiges, vor allem aber um Vitales und von Avitalem zu unterscheiden.
Um das zu können, braucht man „geschliffene Sinne“. Feine Nuancen von Geschmackserlebnissen heraus zu kosten, ist eine Kunst. Verschiedene Kräuter am Geschmack identifizieren, die Zutaten eines Gerichts durch Schmecken erraten, ja selbst die unterschiedlichen Geschmäcker verschiedener Wässer identifizieren zu können, das ist nicht Luxus. Das ist ein Evolutionsvorteil, ein eingebauter Sensor für das Auffinden der Zutaten und der Energie, die wir aus der Nahrung brauchen.
Der Aroma-Holzhammer
Ein Aromastoff wirkt in diesem System wie ein Holzhammer. Wer sich darauf einlässt, verlernt, das Echte vom Unechten auseinanderzuhalten. Doch wenn wir die Wertigkeit echter und vitaler Lebensmittel nicht mehr erkennen - sprich erschmecken - können, wollen wir sie auch bald nicht mehr haben. (Und das war genau die Strategie!) Dann geht nur noch Fruchtgummi, aber kein Apfel mehr. Dann geht nur noch Softdrink, aber kein Fruchtsaft mehr. Dann gehen nur noch Fischstäbchen, aber kein Fisch mehr.
Der Geschmackssinn ist dann überstimuliert und auf auf ein Produktformat konditioniert. Kinder davon wieder runter zu kriegen, das ist echt schwer. Ein Zug, der (fast) abgefahren ist. Das zurück zu verändern, kommt einem Entzug gleich. Und Entzug am Esstisch - darauf haben die meisten Familien verständlicherweise keine Lust!
Besser also, wie fangen gar nicht erst damit an.
Schau’ also bei jeden Fertigprodukt, das Du neu in Deine Küche aufnimmst, einmal kritisch auf die Zutatenliste der Verpackung. Ein E-Nummern-Kompass kann Dir gute Dienste erweisen. Noch besser ist: Du brauchst keinen. Wer Originalprodukte einkauft und den Yoghurt und die Früchte zuhause selber zusammen mischt, weiß was drin ist.
Dann erst werden wir mit jeder Mahlzeit unseren Geschmackssinn mehr schulen. Dann erst kann Essen zu einem wahrhaft unverfälschten Genuss werden, der nicht nicht nur unseren Körper bildet, sondern auch unsere Sinne und unser Urteilsvermögen.
Falle Nummer zwölf
"weglassen statt ersetzen"
Weglassen ist gar nicht so uncool wie sein Ruf. Wer mal gefastet hat, weiß, dass grade im Weglassen ein großer Charme liegt. „Endlich Ruh“. Unsere Sinne schärfen sich für alle anderen Wahrnehmungen: unsere Haut, unsere Nase, unsere Ohren und Augen steigern ihre Wahrnehmungsfähigkeit in dem Maße, wie wir unser Verdauungssystem endlich mal Pause machen lassen.
Fasten ist natürlich eine - zeitlich begrenzte - Extremsituation. Doch wer sein Essen dauerhaft ändern will, der kommt nicht weit mit Weglassen. Wir sind in unserem Kulturkreis nicht nur dreiteilige Mahlzeiten (Kartoffeln, Gemüse, Fleisch) gewohnt, sondern auch noch dreiteilige Speisenfolgen (Vorspeise, Hauptspeise, Nachspeise).
Wo bleibt das richtige Essen?
Wer auf der Grundlage dieser Gewohnheiten anfängt, einfach nur zu streichen, der löst bei sich und der Umgebung bald Frust aus. „Wo bleibt denn das richtige Essen?“ heißt es dann, wenn eine Mama oder ein Papa für die Familie ein Essen ohne Fleisch gekocht hast. Oder „Was ist denn mit den Kartoffeln?“ fragt der Ehemann, wenn es plötzlich Fleisch mit Gemüse und Salat gibt.
Wenn wir also auf Dauer zufrieden sein wollen - und unser Sozialsystem auch - dann müssen Mahlzeiten abwechslungsreich, mehrteilig und geschmacksexplosiv sein. Dann müssen immer wieder neue, gute Zubereitungstechniken entdeckt und Mahlzeiten-Kombinationen gefunden werden. Dann müssen bestenfalls alle Menschen der Familie in die Zubereitung einbezogen werden, die nicht nur ein stumpfes Routine-Kochen ist, sondern immer auch eine Entdeckungsreise.
Gaumen und Experimentierlust wecken
Neue Kräuter? Ah, so schmecken die. Neue Gewürze? Ah, so muss man die einsetzen. Neue Zubereitungstechniken? Ah, so funktioniert ein hausgemachter Smoothie. Neue Rezepte für alte Gewohnheiten: „Ah, so schmeckt ein Rohkost-Kuchen.“
Es ist unumgänglich, Essen interessant zu machen, wenn es interessant sein soll. Und das ist mit „Streichen von lieben Gewohnheiten, ohne mit was Neuem daher zu kommen“ einfach nicht zu machen.
Lass’ Dein Kind also möglichst von Anfang an an Deiner eigenen Entdeckungsreise teilnehmen. Jedes Kind, das ich bisher kennengelernt habe, liebt frisches Eis aus dem Hochleistungsmixer (nur gefrorene Früchte mit Mandelmus, Honig und Zitrone drin). Jedes Kind liebt Fruchtleder (die Gummibärchen der Rohkost-Küche). Jedes Kind mag süße Riegel, die man z.B. aus gepopptem Amaranth oder gecrunchten Nüssen selber herstellt. Es gilt also:
Alternativen zu suchen und sie einsetzen zu lernen:
Zuviel Zucker? Wie wäre es mit Honig, Agavendicksaft, Ahornsirup, Birnendicksaft, Datteln, Kokosblütensirup, …
Zuviel Weißmehl? Wie wäre es mit Dinkelmehl 1050 oder mit alternativen Getreide- oder Gräsersorten wie Kamut, Emmer, Buchweizen, ….
Zuviel Fleisch? Wie wäre es mal mit Fallafel, Kichererbsen, Tofu oder Soja?
Zuviel Sahne? Wie wäre es mit veganen Creme-Alternativen aus der Rohkost-Küche?
Klar, das erschließt sich alles nicht von allein. Da müssen wir ein bisschen Arbeit reinstecken, bis wir wissen, was wohin gehört und wie wir damit gleiche oder bessere Ergebnisse erzielen können, als zuvor in der „alten Welt“. Aber der Weg dahin ist nicht dröge oder entbehrungsreich, sondern ein Weg voller Entdeckungen. Und wenn es gut läuft - und das tut es eigentlich immer - dann überholen uns die Kinder unterwegs!
Kinder auf der Überholspur
In den letzten 25 Jahren habe ich so viele Kinder von Eltern als „Trittbrettfahrer“ im Ess Kultur Pur Kurs gehabt, von denen viele nach einiger Zeit konsequenter werden als die Eltern: sie nehmen lieber weniger verschiedene Zutaten gleichzeitig auf den Teller, genießen lieber eins nach dem anderen. Sie essen freiwillig Berge von Gemüse und Salat, Rohkost sowieso. Sie quengeln im Laden lieber nach einem Stückchen Käse, als nach einer Schokolade. Sie essen Omas’ gebackenen Kuchen nur noch aus Höflichkeit, wollen auf dem Kindergeburtstag aber lieber die Rohkosttorte gemacht bekommen. Sie kapieren das alles schneller als wir, wirklich!
Und wenn es zwischendurch mal nicht so aussieht, als würde Dein Kind in Sachen gesunder Ernährung die Kurve kriegen - bleib cool! Entscheidend ist, dass Ihr Freude miteinander habt, auch am Esstisch.
Wir sind in der gesegneten Lage, unsere Kinder immer satt zu kriegen. Und sie sind jung genug, dass ihr Körper ihnen viel, sehr viel, verzeiht. Auch dann, wenn es andauernd zuviel Süßkram oder doch partout kein Gemüse sein darf.
Wenn Du Deine Linie unbeirrt weiter machst und aktiv immer weiter verfeinerst, wird der Tag kommen, wo Dein Kind - vielleicht ganz leise erst, aber dann immer sicherer - nachmachen wird, was Du ihm vorgelebt hast. Und dann ist es immer noch nicht zu spät!
***
Soviel für heute. Auf meiner to-do Liste für's nächste Jahr steht ein kleines E-Book zum Thema. Darin werde ich auch ein paar - wirklich verzweifelte - Zuschriften zu Wort kommen lassen, die ich zu den ersten drei Ausgaben der Kinderserie bekommen habe. Die sind mir wirklich nah gegangen und habe mich verstehen lassen, dass das Thema für viele Familie ein sehr Brennendes ist.
Ich hoffe, ich konnte schon etwas Licht ins Dunkle bringen. Schau dazu ggf. auch in in Teil eins und Teil zwei und Teil drei der Serie rein. Bei konkreten Nachfragen, nimm' Kontakt auf. Dann gucken wir gemeinsam weiter.
Herzlichst, Deine
Anne
P.S.: Auch diesmal noch: weiterleiten nicht vergessen, z.B. an die Eltern Eurer Schule oder Eurer Kita oder an ihre Lehrer! Je mehr mitmachen, desto besser!
*****
Du bist zum ersten Mal hier? Du willst mehr wissen über Kinderernährung und über die Zusammenhänge von Essen, Wohlbefinden und Lebensqualität? Dann melde Dich gleich hier an zu meinem Newsletter, dem „Grünen Licht“:
Bei Neuanmeldung zum Newsletter erhältst Du von mir meinen kostenlosen E-Mail-Grundkurs zur Lebensmittelharmonie.
Sieben Tage lang erreicht Dich dabei ein vielleicht für Dich entscheidender Tipp rund um die Ordnung Deiner Nahrung. Lass' Dich überraschen.